Zwei Welten gegen das Delta-Virus

Di Sigi Heinrich

Es ist ein seltsames Aufeinandertreffen zweier Welten. Da ist zum einen die Scheinwelt des Fußballs, die uns vorgaukelt, wie wunderbar doch alles ist im Moment. In Viktor Orbans sowieso höchst seltsamer Welt durften in Budapest sogar 61.000 Zuschauer ins Stadion. Volle Hütte. Ein Superspreader-Treffen vom Feinsten. Die Delta-Variante rückt nach. Juckt alles nicht. Orban, dieser rechtsnationale, erzkonservative Politiker, der den Ungarn ihre Freiheit nehmen will, um nach Gutdünken regieren zu können, biedert sich mit der Offerte der vollen Stadien der Europäischen Fußball-Union (UEFA) an, die ihm das sicherlich honorieren wird. In Budapest ging es beim Spiel zwischen Ungarn und Frankreich auf den Tribünen richtig zur Sache. © APA/afp / BERNADETT SZABO

Endlich mal einer der Mut hat und seine Bürger in die Virenschlacht schickt, ohne zu jammern und irgendwelche Vorschriften zu erlassen. Und die ungarischen Fußballfans werden es Orban leider auch bei der nächsten Wahl danken. Er hat uns, werden sie sich erinnern, die Freude wiedergegeben. Dafür werden ihre Rechte Schritt für Schritt minimiert. Und dann spielen die ungarischen Kicker auch noch Unentschieden gegen Frankreich und man hat fast den Eindruck, Orban steht mit staatstragender Miene (hat er von Lukaschenko abgeschaut) an der Seitenlinie und freut sich über sein geglücktes taktisches Manöver. Emotionen heißt das Zauberwort Im Fernsehen, egal welchen Kanal man sich anschaut, freut man sich auch. Emotionen heißt das Zauberwort. Endlich, eben endlich mal wieder uneingeschränkter Fußballjubel. Die für die Bilder verantwortliche UEFA, die alles kontrolliert, wirklich alles, schickt uns Bilder von freudetrunkenen Fans, von maskierten, bemalten Menschen, die sich in die Arme fallen bei jedem Einwurf ihres Teams. Es ist irgendwie ein kompletter Ausnahmezustand und es ist eben eine Scheinwelt.

Für die Engländer war sie sowieso nicht real, als sie gegen Schottland nur ein Remis erreichten, das sich anfühlte, als hätten die Bravehearts soeben ihre Unabhängigkeit von der Krone erreicht. Und das war noch nicht alles, denn die Deltavariante, die aus dem fernen und doch so nahen Indien Europa erreichte, ist in England so richtig heimisch geworden. Die Inder stellen die größte Einwanderergruppe in England (fast zwei Millionen). Zwar ist Kricket in Indien beliebter als Fußball aber die Europameisterschaft wird von der stärker ansteckenden Corona-Variante beeinflusst. Das Finale sollte in Wembley ausgetragen werden. Ab heute werden erst einmal alle geplanten Lockerungen in England zurückgenommen. Und ein Endspiel vor leeren Rängen wird die UEFA nicht hinnehmen. Alternative: Budapest natürlich. Ausnahmezustand Lissabon Und dann war da noch die Partie Deutschland gegen Portugal. Immerhin vor nur 14.000 Zuschauern mit vielen Einschränkungen und Vorgaben. Den Mut, der UEFA die Stirn komplett zu bieten, hatten die Münchner dann doch nicht. Man will ja schließlich nicht schuld sein, wenn die DFB-Elf mangels Unterstützung frühzeitig scheitern sollte. Also spielt man irgendwie mit in diesem fragwürdigen Pandemie-Monopoly. Deutschland gewinnt dann 4:2 und ja, es war ein tolles Match. Keine Frage. Emotionen halt, auch im Team, im Trainerstab, bei den Experten und allen, die halt mit Fußball zu tun haben im Moment.

Aber irgendwann kam sie dann doch, die reale Welt, die böse Wirklichkeit, die uns aus den Träumen riss, wenn man nur ein wenig sensibel war. Lissabon, die Hauptstadt Portugals, wird von der Außenwelt hermetisch abgeriegelt. Niemand darf mehr rein, niemand mehr raus. Die Delta-Variante, die sich einen Teufel schert um Sieg oder Niederlage, hat den Westen der iberischen Halbinsel erreicht. Jetzt, plötzlich, wachen die Menschen auf aus ihrem Fußball-Tagtraum. Da war doch noch was? Schnell sagt der Nachrichtensprecher, dass die Strände in Portugal sicher seien. Das soll uns und vor allem die Tourismusmanager Portugals beruhigen. Ronaldo und seine Mitstreiter glauben, wie zu viele, auf jeden Fall auf der sicheren Seite zu sein. Denn ihr nächstes Spiel gegen Frankreich findet wohl vor vollen Rängen statt. In Budapest. Es ist scheinbar noch nicht genug.

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In Budapest dürfen bei der Fußball-EM 61.000 Zuschauer ins Stadion. Unser Kolumnist Sigi Heinrich hat sich seine Gedanken dazu gemacht.

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